Oktober 2014 – Nur der Himmel ist höher - oder: Zahnmedizin über 4000 Meter Höhe
In unserer Welt, die nach immer höheren, schnelleren und besseren Ergebnissen Ausschau hält, ist manchmal ein Innehalten und reflektieren auf das Notwendige hilfreich. Ein befreundetes Kollegenehepaar bemüht sich im Norden Indiens im ehemaligen Königreich Ladakh um ein zahnmedizinisches Hilfsprojekt in Zusammenarbeit mit dem gemeinnützigen Verein „Kinder des Himalaya“. Wir haben die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und unseren diesjährigen Jahresurlaub in den Dienst dieses Hilfsprojektes gestellt – und um es gleich vorweg zu sagen, es war sagenhaft, es war erfüllend und letztlich sollte es jeder von uns mal tun, man sieht die Welt hinterher wieder mit normaleren Augen, oder nochmals anders ausgedrückt, man merkt, wie gut es uns geht und mit wie wenig man glücklich und zufrieden sein kann.
Vier Personen, meine Frau, meine Tochter und deren Kommolitonin (beide 9. Semester Zahnmedizin) flogen nach Neu Dehli; wir haben uns diesen Moloch einer Großstadt angeschaut (warum wir uns hier über Abgase unterhalten, versteht man nicht mehr) und sind von dort aus nach Norden gereist, insgesamt 5 Tage mit öffentlichen Verkehrsmitteln quer durch den Himalaya, und haben dabei ein erstes Highlight in Form des Manali-Leh-Highways erlebt, eine Passstraße über knapp 500 km, für die man 2 Tage und eine halbe Nacht braucht und die bis 5768 Metern Höhe reicht – man wird durch die einmalige Landschaft, grandiose Berge und Schluchten entschädigt, meist auf einspurigen, ungeteerten Straßen, die fortlaufender Reparatur bedürfen; der Fahrer betet alle 200 km und wirft von Zeit zu Zeit Geld in Dosen, damit man seine Fahrt sicher fortsetzen kann. Es ist ein Abenteuer, das wir nicht für Vieles missen möchten und jedermann empfehlen wollen, der in den Norden Indiens reist.
Nach 8 Tagen haben wir unser Ziel, unsere Zahnstation im Nirgendwo mitten im Himalaya (Timosgang ), ca. 130 km westlich von Leh in einem Seitental des Indus, erreicht. Goldige Kinder, überfreundliche Menschen, die in der Felswüste die karge Vegetation nutzen, um ihren Lebensunterhalt durch Landwirtschaft bestreiten. Im Regelfall haben sie hierzu nur 4-6 Monate Zeit, ansonsten ist es bitter, bitter kalt und sie sind dort oben von der Außenwelt abgeschnitten, nur eine Flugverbindung besteht während der Wintermonate – wenn sie denn fliegt.
Wir haben eine Zahnstation auf sehr modernem Niveau vorgefunden, so eingerichtet und ausgestattet, dass man alles dort machen kann, was man auch in unseren hiesigen Praxen tagtäglich behandelt, wenn man eben vom Generator Strom geliefert bekommt. Ach ja, duschen muss man des Öfteren auch mit 5 Grad warmem Wasser, sofern gerade niemand heißes Wasser gekocht hat …
Erfrischend habe ich mich an die RKI-Richtlinien beim Anblick der Sterilisationsanlage erinnert … es geht auch einfacher … schon bei 4-5-Jährigen haben wir in den Milchzähnen massivste Kariesläsionen gefunden, der Candyshop vor der Schule trägt seinen Teil dazu bei, Wurzelreste durften wir am Fließband entfernen und dann gab es für die beiden Studenten enorm viel zu sehen und zu verstehen, alle Arten von Abszessen haben wir gesehen und behandelt – viel, viel Dankbarkeit und Zufriedenheit geerntet. Man würde sich solches zu gerne in der eigenen Praxis von Zeit zu Zeit wünschen – Anspruchsdenken oder penetrante zwischenmenschliche Begegnungen gibt es einfach nicht. Natürliches Begegnen, Hilfsbereitschaft, die großen helfen den kleinen Kindern, gegenseitiges Anpacken und zur Seite stehen, Sie könnten dort nicht überleben –
Klima, Wetter und vieles andere sind einfach anders als in Mitteleuropa. Wenn die Sonne scheint, hat es gerne mal gleich über 25 Grad Celsius, geht die Sonne weg, wird’s sehr schnell kalt, man entwickelt eine schalenförmige Bekleidungstechnik, die man den äußeren Verhältnissen schnell anpassen kann – trotzdem: Wir haben gefroren und uns nach einem warmen Ofen gesehnt. Lesen am Abend – die Stirnlampe war öfter nötig – Sie erinnern sich, das mit dem Strom geht nicht immer. Essen, tja wer Linsen mag, in jeder Zubereitungsform, der wird sich wie in einem Eldorado fühlen, nach 20 Tagen haben wir uns nach Brezel und Leberwurst gesehnt und deren Geschmack noch feiner empfunden als normalerweise.
Zahnmedizinisch gesehen haben wir einen „Tropfen auf dem heißen Stein“ hinterlassen, gleichwohl fleißig gearbeitet wurde, aber es gibt viel, viel zu tun – wer Lust hat, sich etwas absolut Außergewöhnliches zu gönnen, ein wenig abenteuerlustig dazu ist, dem können wir einen solchen Einsatz nur empfehlen. Wer eine Katharsis von unserem sozialverrückten Gesundheitssystem braucht, dem sollte man das Himalaya auf Kasse rezeptieren und wer die Herrlichkeit unseres Planeten erkunden will, sollte einmal im Leben quer durchgefahren sein – durchs Himalaya.
Manfred Wolf
Kontaktadresse: Dres. Knupfer, Hindenburgstrasse 27, 89150 Laichingen, info@dres-knupfer.de
Kinder des Himalaya e.V. - www.kinderhimal.de